Nachrichten vom Äußeren Stein

Was tut man im Salzburger Sommer, um nicht im hyperkulturellen Sumpf zu versinken?

Salzburg im August, das ist anders. Ziemlich unerträglich – laut Einheimischen. Sie sagen das hinter vorgehaltener Hand, denn sie haben eingelernt, kein schlechtes Wort über Festspiele oder Tourismus fallen zu lassen. Über die Festspielgäste rümpfen sie doch die Nase, wenn sie im Innenstadtsektor ihre feinen Textilien spazieren führen. Bemitleidet werden die männlichen Führungskräfte unseres Wirtschaftsstandorts, die sichtlich so gar nichts für Opern übrig haben und dennoch Jahr für Jahr, wenn die Stadt sich in ein Weltzentrum verwandelt, die musikalische Hochkultur sämtlicher Epochen durchleiden, halb dösend, halb schnarchend, später verloren im Schnürlregen, wenn der Planet Salzburg in eine Depression aus Moll taucht. Scheint plötzlich die Sonne, sitzen sie trachtenbejankert und rotgesichtig, mit schwitzender Stirn, russischen „Freunden“ und buntgefiederten Damen die Gastgärten voll und vermischen sich mit dem Allerweltspublikum. Die Einheimischen nehmen die Melange kaum wahr, sie haben längst auf den Sommermodus namens Abstumpfung gestellt.

Was tun? Man weicht den Massen aus. Zum Beispiel, indem man den Festungsberg durch den Stadtteil Riedenburg umrundet und einen Spaziergang zum malerischen Leopoldskroner Weiher unternimmt, dem Naturschutzteich mit dem Schloss aus dem 18. Jahrhundert, das einst auf der Rückseite der 1.000-Schilling-Banknote abgebildet war. Besitzer Max Reinhardt, Mitbegründer der Festspiele, machte es zwanzig Jahre lang bis zu seiner Enteignung (1938) zu einem Treffpunkt internationaler Künstler, heute ist es Seminargebäude und Hotel. In diesem mysteriösen Garten stand der Pavillon von „Sound of Music“, der später aufgrund des gesteigerten Besucherinteresses, das der Besitzerin der Anlage (einer amerikanischen NGO) widerstrebte, nach Hellbrunn verpflanzt wurde. Auf der anderen Seite des Weihers erhob sich bis zu seiner Zerstörung durch Fliegerbomber (1944) die hölzerne Badeanstalt Leopoldskron. Hinter der Minigolfwiese erstreckt sich nun das Gelände des zeitgenössischen Freibads, kurz „Lepi“ genannt, das Gegenstück zum proletarischen „Volksi“ im Volksgarten.
Oder man spaziert in die Vorstädte, isst auf dem Weg zur Wallfahrtskirche Maria Plain Eis in der Bergheimer Konditorei Schweiger, besucht den Zoo Salzburg am einzigartigen Felsen des Hellbrunner Bergs, der in den letzten drei Jahren drei Gepardenausbrüche zu verzeichnen hatte, oder nimmt das Fahrrad zum Pflegerwirt oder dem Mostwastl, um sich eine Halbe sauren Mosts zu genehmigen. Doch wer partout in der Innenstadt bleiben will, verzichtet am besten auf Mozarts Geburtshaus, es finden sich ja kaum Einheimische, die einen Fuß hineingesetzt haben. Eher besuchen sie Samstag Mittag die Galerie Welz, wo sie mit Wein oder Café an der Bar stehen.
Als routinierter Ausweicher und Abweicher lässt man sich nicht auf die Diskussion ein, ob Mirabell oder Schatz die echten oder originalen Mozartkugeln führt – obwohl die silbrigen vorzuziehen sind – man begibt sich an den Äußeren Stein. So heißt eine trostlose Busstation an der rechtsseitigen Salzach, an deren Stelle bis 1832 das chronisch überschwemmte Äußere Steintor stand. Einst reichte der Kapuzinerberg fast ans Wasser. Wenige Schritte weiter betreibt die kleine, aber von Gault Millau ausgezeichnete Konditorei Ratzka mit den erratischen Öffnungszeiten ihre Süßwarenproduktion. An winzigen Tischchen werden Marillenflecke, Vogelbeertorten und die legendäre Rudolfstorte serviert.
Die Steingasse, einst Handwerkerstraße, reichte vor der Regulierung an vielen Stellen zum Wasser, hier gab es Weißgerber, Hafner und Leinenweber. Aber auch Mozarts erstes Instrument, das sogenannte „Buttergeigerl“, wurde in einer der Steingassen-Werkstätten gebaut. Heute ist sie eine Ausgehmeile. Wer den Massen ausweichen und den Fluss aus Vogelperspektive betrachten möchte, nimmt im Hotel Stein, bei der Staatsbrücke, kurzerhand den Lift in den obersten Stock. Die bewirtschaftete Steinterrasse bietet den komplementären Aussichtspunkt zur Festung.

Tolle Würstelstandkultur. Durchhäuser sind keine Salzburger Erfindung, aber hier sind sie maßgeblich. Von der Getreidegasse zum Universitätsplatz mit seinem Grünmarkt erstrecken sich neun von ihnen in und unterhalb der Altstadthäuser. Bosna ist hingegen eine Salzburger Erfindung. Der beste Bosnadealer hat sich im Stockhamer-Durchhaus eingenistet. Dieses scharfe, hotdogähnliche Gebilde, bestehend aus zwei dünnen Schweinsbratwürsten mit Senf, Curry und rohem Zwiebel in einem gerösteten Weißbrotstangerl, wurde vom Bulgaren Zanko Todoroff gebracht. In den Vierziger Jahren hieß es „Bosa“ (bulgarisch für „Jause“), und die Wurst war gut. Ab 1950 mietete er im Durchhaus zwischen Getreidegasse und Kollegienkirche ein Geschäftslokal mit einem winzigen Verkaufsfenster, nannte es „Balkan Grill“ und feierte mit seiner Nachkriegswurst „Bosna“ einen durchschlagenden Erfolg. Spätere Besitzer veränderten das Konzept kaum, montierten lediglich ein Schild „1. Salzburger Bosna-Grill“ dazu. Seitdem zeugen Menschenschlangen von einem Wursterfolg ohne Ende. Die Bosna breiteten sich zwar nach Ostösterreich und Süddeutschland aus, verloren dabei jedoch die Qualität. Bestellen Sie einmal eine Bosna in der falschen Stadt (evtl. Wien) – Finger weg von diesem Gift!
Die zweite lokale Fleischspeise hat ebenso wenig autochthone Wurzeln. Die Weißwurst, vulgo „Frische“. Am besten schmeckt sie, mit geriebenem Kren, am Grünmarkt. Die Haut kann man mitessen, ob die Qualität ganz an jene über der nahen Grenze heranreicht, ist Thema komplizierter Debatten. Der Ritzerbogen gleich daneben führt nicht nur zu einer der letzten klassischen Buchhandlungen, dem Höllrigl, sondern trennte einst die Bürgerstadt von der exklusiveren Fürstenstadt, die nicht von jedem betreten werden durfte. Heute natürlich schon – von absolut jedem. Trotzdem ist der Bogen nicht nur wegen seiner hohen Bettlerinnendichte von Interesse, sondern auch wegen der kleinsten vorstellbaren Tabak-Trafik. Jenseits mündet die Churfürststraße in den Alten Markt, heute ein Prunkplatz, mit einem der beiden wichtigen Cafés, dem Tomaselli, das hier seit 1764 Kaffee serviert.
Überquert man die Salzach über den neuen Makartsteg sieht man zuerst das altehrwürdige Hotel Österreichischer Hof, das von Sacher gefressen wurde und seitdem den Investorennamen trägt. In einem der Zimmer tötete sich der Philosoph und Autor Jean Améry (1912-1976), nachdem er das Buch „Hand an sich legen, Diskurs über den Freitod“ veröffentlicht hatte. Daneben steht das Café Bazar, immerhin seit 1883 in Betrieb. Im Gegensatz zum Tomaselli, das die Bürgerlichkeit repräsentiert, regiert hier die urbane Künstlerwelt, von Toscanini über Marlene Dietrich bis Walter Kappacher, alle saßen oder sitzen auf der Terrasse an der Salzach. Ein anderer Selbstmörder, Georg Trakl (1887-1914), der allergrößte Dichter der Stadt, muss hier als Kind mit seiner französischen Gouvernante entlang gegangen sein. Sein berühmtestes Gedicht „Grodek“ gilt der gleichnamigen Schlacht im Ersten Weltkrieg, die er durchlebte und an der er, suizidal zerrüttet, letztlich zugrunde ging. Man kann darüber noch heute weinen.

Love Corner. Die Ecke, an der die Innenstadt sich nach Nonntal erstreckt, hieß inoffiziell „Corner“ oder „Love Corner“. Hier, gleich beim Justizgebäude, begegnen einander die 14-jährigen auf ihre Art. Seit aber der alte Union-Sportplatz weggerissen und ein Unigelände gebaut wurde, herrscht eine schrecklich offene Architektur, und die Corner-Romantik hat sichtlich abgenommen. Das Publikum, nunmehr Studierende, ist einfach zu alt für solche Späße.
Die Nonntaler Hauptstraße schlängelt sich am Festungsberg entlang, die Pfarrkirche St. Erhard wirkt wie in den Felsen des Festungsbergs gedrückt. Vorbei am Lemonchili, einem letztklassigen Latino-Restaurant mit wunderschönem Gastgarten, führt der Weg zum Krauthügel. Hunderte Kinder haben hier das Skifahren gelernt, heutzutage herrschen in Winterjahren die kleinen Bobs und Schlitten vor. Wenn das Monsterprojekt des Ausbaus der Mönchsberggaragen (weitere 600 Stellplätze) tatsächlich umgesetzt wird, ziert dieses Landschaftsschutzgebiet jedoch bald eine Zwischendeponie.
Neben der zukünftigen Abraumhalde, in der Mitte der malerischen Krauthügel-Wiese, steht das weißgraue Henkerhäusl. In Wirklichkeit lebte hier nie ein Henker, sondern nur ein Krautwächter. Bis in die Siebziger Jahre war es von einem Trunkenbold bewohnt. Manchmal pflanzte er sich vor dem Haus des Architekten Clemens Holzmeister in der Brunnhausgasse auf und wünschte sich „zwei Divisionen SS“ herbei, die demnächst „für Ordnung sorgen“ sollten. Mit ihm endete auch die Epoche, in der Immobilien vorwiegend nach Bausubstanz bewertet wurden – jemand renovierte das verfallende Henkerhäuschen und pflanzte Bäume als Sichtschutz, wodurch es sich den Phantasien der Einheimischen weitgehend entzog.

Adressen
„1. Salzburger Bosna-Grill“, Getreidegasse 33, Stockhamer-Durchhaus zum Universitätsplatz; Café Bazar, Schwarzstraße 3, 5020 Salzburg, www.hotel-brandstaetter.com/de-cafe-bazar.htm; Café Tomaselli, Alter Markt 9, 5020 Salzburg, www.tomaselli.at; Konditorei Schweiger, Itzlinger Hauptstraße 93, 5020 Salzburg, www.schweiger-eis.at; Steinterrasse, Giselakai 3-5; Konditorei Heidi Ratzka, Imbergstraße 45, 5020 Salzburg; Hotel Sacher, ehemals Hotel Österreichischer Hof, Schwarzstraße 5-7, 5020 Salzburg, www.sacher.com; Galerie Welz, Sigmund-Haffner-Gasse 16, 5020 Salzburg, www.galerie-welz.at; Hotel Schloss Leopoldskron, Leopoldskronstraße 56-58, 5020 Salzburg, www.schloss-leopoldskron.com.

Dichter
Keiner repräsentiert das andere Salzburg so perfekt wie Georg Trakl. Nach Mozart der berühmteste Künstler der Stadt, wird er u.a. wegen der düsteren Grundstimmung seiner Lyrik längst nicht so gut verstanden. Die perfekt aufgearbeitete „Georg-Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte“ im einstigen Wohnhaus der Familie Trakl, Waagplatz 1a, 5020 Salzburg, kann werktäglich mit Führung um 14 Uhr besichtigt werden. Literatur-Veranstaltungen mit einem internationalen Programm finden im Literaturhaus Salzburg statt, www.literaturhaus-salzburg.at, HC Artmann-Platz / Strubergasse 23, 50 20 Salzburg.

Berge
Salzburg liegt auf 424 Meter. Die Stadtberge, Ausläufer der Nördlichen Kalkalpen, prägen das Gesicht der Stadt. Auf dem berühmtesten, dem Festungsberg (548 Meter), steht die Festung Hohensalzburg. An diesen schmiegt sich der Mönchsberg. Auf der rechten Salzachseite steht der größte von allen, der Kapuzinerberg (mit der Zweig-Villa und einem Kloster), an den der Bürglstein angrenzt. Links gibt es noch den versteckten Rainberg, der schon zur Keltenzeit bewohnt war. Dazu kommen noch einige Berge am Stadtrand (Heuberg, Kühberg, Hellbrunner Berg). Die beiden großen Stadtberge sind der größtenteils in Deutschland liegende Untersberg (1.853 Meter ist die höchste Erhebung auf österreichischer Seite; eine Seilbahn fährt auf den Gipfel) und der Gaisberg (1.287 Meter) mit seiner Radiostation.

Parkgaragen
Salzburg ist eine der letzten historischen Städte, die autofreundlich agiert. Anderswo muss man außen parken und öffentliche Verkehrsmitteln in die Stadt nehmen, hier sorgt ein Bürgermeister mit starker Unterstützung aus der Wirtschaft für zusätzliche 600 Stellplätze in den Mönchsberggaragen – ein Riesenprojekt gegen den Lauf der Zeit. Dagegen haben sich Bürgerinitiativen formiert, eine Volksbefragung wird gefordert.
www.facebook.com/bi.gegengarage

Der Autor verbrachte die ersten 19 Jahre seines Lebens in Salzburg und besucht die Stadt regelmäßig.